Ein Gespräch zwischen Katja Glasmachers und Jörg Petrick über Kontinuierliche Verbesserungsprogramme (KVP) und wie diese Schulen helfen können.
Katja: Du hast lange Zeit Programme zur sogenannten „Kontinuierlichen Verbesserung“ in Unternehmen geleitet. Jetzt möchtest Du auch Lehrerinnen und Lehrern damit ihren Berufsalltag erleichtern – Wie funktioniert das?
Jörg: Ich habe erlebt, dass auf den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oft ein enormer Druck lastet, weil sie zu viele Aufgaben und zu wenig Zeit haben. Dies führt dazu, dass viele für sich selbst ein Überlebenskonzept entwickeln. Bei Lehrerinnen und Lehrern, mit denen ich gesprochen habe, scheint das nicht anders zu sein!
Häufig führt das dazu, dass sich Kollegien nicht die Zeit nehmen, gemeinsam einen Schritt zurückzutreten und alltägliche Arbeitsweisen zu hinterfragen. Dabei könnte ein Team, das sich auf die Suche nach den größten Zeitfressern und deren Abbau konzentriert, große Erleichterung für viele schaffen.
Katja: Warum soll dieser Ansatz der „Kontinuierlichen Verbesserung“ mehr schaffen können als die bisherigen Verbesserungsversuche?
Jörg: Durch die gemeinsame Konzentration eines Teams auf ein Thema entwickelt sich eine besondere Dynamik. In diesen Teamprozessen entstehen häufig völlig neue Ideen, weil die die Puzzlesteine der Erfahrungen neu zusammengefügt werden.
Katja: Bedeutet das auch, dass Teams mehr Einfluss bekommen?
Jörg: Ja, das ist eine Grundvoraussetzung. Kontinuierliche Verbesserungsprogramme (KVP) basieren auf einem partizipativen Führungsansatz. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Welt so komplex geworden ist, dass Verantwortung gemeinsam getragen werden muss.
Katja: An was für Beispiele zur Arbeitserleichterung denkst Du dabei, wenn dieser Ansatz verfolgt wird?
Jörg: Das können ganz unterschiedliche Werkzeuge oder auch Änderungen der Zusammenarbeit sein, wie z.B.
Katja: Welche Methoden werden typischerweise in solchen Verbesserungsprogrammen eingesetzt?
Jörg: An erster Stelle steht das Einrichten von Expertenteams. Zur Lösung von Problemen werden kleine schlagkräftige Teams eingerichtet. In diesen werden erfahrene Vertreter aller Gruppen zusammengezogen, die von dem zu lösenden Problem betroffen sind. Durch die vorgegebene Struktur sprudelt plötzlich die Kreativität.
Das Vorgehen dieser Expertenzirkel orientiert sich am Deming-Kreis. Durch seine Rotation verdeutlicht er, dass die Qualität in vielen Durchläufen gesteigert wird.
Hierzu werden vier Phasen von Verbesserungsprojekten so lange durchlaufen, bis die Qualität hoch genug ist. Dies erlöst uns von den Zwängen, eine perfekte Lösung zu finden. Es geht beim kontinuierlichen Verbessern nicht darum, ein einziges Mal eine besonders clevere Lösung zu erarbeiten, sondern bei Bedarf schnelle und effektive Verbesserungsschleifen zu durchlaufen, die kontinuierlichen Fortschritt bringen. Im Englischen wird das Model auch P-D-C-A-Kreis genannt:
Plan – Plane Ziel und Vorgehen für den nächsten Schritt.
Do – Setzen den Plan in die Praxis um
Check –Überprüfe, inwieweit die gewünschten Änderungen eingetreten sind.
Act – Reflektiere warum welche Entwicklung stattgefunden hat
Eine weitere wichtige Hilfe für Verbesserungsteams ist die Priorisierungsregel nach Pareto:
Die sogenannte 80/20-Regel wird in Abb. 2 verdeutlicht . Hier geht es um die Priorisierung möglicher Einflussfaktoren. Durch Fokussierung auf die zwei bis drei Faktoren mit dem größten Potential, lasssen sich meist schon 80 Prozent eines Problems Teil der Ursachen beheben. Für die letzten 20 Prozent der Lösungsumsetzung bräuchte man hingegen noch 80 Prozent der Zeit. So wird es vermieden, in zeitraubenden Perfektionismus zu verfallen.
Katja:: Also frei nach dem Motto „Einfach mal machen, könnte ja gut werden.“
Jörg: Ganz genau.
Katja: Was sind die Voraussetzungen für erfolgreiches kontinuierliches Verbessern?
Jörg: Vor dem eigentlichen Start ist es essenziell, dem Kollegium klarzumachen, dass ein Kontinuierliches Verbesserungsprogramm kein vorübergehendes Projekt ist, sondern eine Initiative zur andauernden Qualitätssteigerung.
Katja: Wie meinst Du das?
Jörg: Wenn sich die Grundhaltung „Probleme sind zum Lösen da“ ausbreitet, werden wir in vielen Bereichen nach den Ursachen forschen müssen und versuchen, diese zu beseitigen. So gesehen können Schulen durch ein KVP wichtige Zusammenhänge lernen.
Katja: Heißt das, dass Schulen auch selbst lernen sollten?
Jörg: Ja, auch das lehrende System Schule würde sicher sehr davon profitieren, wenn es gleichzeitig zu einer lernenden Organisation würde.
Hierzu fallen mir aber auch zwei aktuellere Sprüche ein, die die notwendige Grundhaltung veranschaulichen:
„Versuch macht klug“
Gerade wenn wir lange etablierte Arbeitsweisen ändern wollen, ist es unmöglich, am grünen Tisch einen Vorschlag zu erarbeiten, von dem alle Beteiligten begeistert sind. Dieser Spruch bringt für mich zum Ausdruck, dass Ausprobieren ein sehr pragmatischer Ansatz ist. Nie sind große Änderungen in einem einzigen Schritt vollzogen worden. Bei etlichen Themen wird sich ein begrenztes Experiment vereinbaren lassen, aus dem sich nachträglich etwas lernen lässt. Und das führt direkt zu meinem zweiten „Lehrsatz“:
„Umwege erweitern die Ortskenntnis“
Dieser Spruch macht deutlich, dass auch vermeintlich negative Ergebnisse durchaus zum Verständnis von Zusammenhängen beitragen und somit eine wichtige Grundlage für das nächste Experiment bzw. dessen Auswertung sein können.
Katja: Bedeutet das, dass beim Verbessern auch Fehler passieren können?
Jörg: Ja, natürlich können beim Verbessern Fehler auftreten. Aber statt nach Verantwortlichen zu suchen und mit Sanktionen zu drohen, werden bei diesem Ansatz Fehler als „Lerngeschenk“ angesehen. Wenn Fehler nachträglich genau betrachtet werden, können sie neues Wissen generieren. Sie sind wertvolle Marker und Hinweise.
Katja: Wie wird eine solches Programm konkret eingeführt?
Jörg: Meine Empfehlung sieht so aus:
Katja: Das alles klingt, als ob durch so eine Initiative noch viel mehr Positives ausgelöst
werden kann, als „nur“ das Lehrerleben leichter zu machen?
Jörg: Unbedingt! Für mich ist das stärkste Argument für kontinuierliche Verbesserungsprogramme, dass sie Menschen in Schulen ermutigt, Schule aktiv zu gestalten. Dies erhöht die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte, steigert ihre Arbeitszufriedenheit und fördert Teamarbeit innerhalb des Kollegiums.
Katja: Da Du gerade von Kollegium sprichst, muss denn so ein Programm auf die Lehrerschaft beschränkt sein?
Jörg: Oh nein! Die Partizipation kann sich natürlich auch auf die Schülerinnen und Schüler sowie auf die Eltern erstrecken. Ich glaube sogar fest daran, dass dies die Unzufriedenheit mit der eigenen Schule deutlich verringern kann. Auch beim diesjährigen Bildungshackathon „Wir für Schule“ hat eine Arbeitsgruppe unter dem Titel „Gemeinsam Verantwortung tragen“ hierzu ein Konzept erarbeitet (bitte Link wählen) In diesem wird vorskizziert, wie Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern durch Kontinuierliche Verbesserungsprogramme ihre Schulen gemeinsam weiterentwickeln können.
Impulsabend zum Thema am 29. September 2021 (Link zur gratis Anmeldung).